Ein halbes Jahrhundert für ein Quartier

Die Menschen in ihren Stadtteilen fühlen sich sowohl durch ihr Engagement als auch die Einzigartigkeit verbunden

Mit dem ersten Spatenstich zum DDR-Neubaugebiet auf dem Großen Dreesch entstand in den 70er-Jahren eine neue Form der Wohnkultur. Mehr als 60.000 Menschen fanden hier ihr neues zu Hause
Die Stadtteilmanagerinnen, Sara Köhler (l.) und Anne-Katrin Schulz (r.), aus dem Quartier63 im Gespräch mit einem langjährigen Bewohner, Fotos: Uwe Nölke

Schwerin • Mit dem ersten Spatenstich zum DDR-Neubaugebiet auf dem Großen Dreesch entstand in den 70er-Jahren eine neue Form der Wohnkultur.

Mehr als 60.000 Menschen fanden hier ihr neues zu Hause: modernster Standard, Zentralheizung und Warmwasser, gute Anbindung zur Straßenbahn, Einkaufsmöglichkeiten, Spielplätze und Kitas gleich nebenan. Die Wohnungen waren bei allen äußerst begehrt. Arbeiter und Architekt wohnten Tür an Tür. Mit dem gesellschaftlichen Aufbruch nach der Wende hat sich vieles verändert und die Stadtteile befinden sich seither im stetigen Wandel.

Gemeinsam mit Fotograf Uwe Nölke haben die beiden Stadtteilmanagerinnen Sara Köhler und Anne- Katrin Schulz das Gespräch mit einigen der vielen Menschen gesucht, die hier leben und die Stadtteile auf ihre Art prägen. Was verbindet die Menschen hier? Welche Visionen und Träume hegen sie für ihr Quartier?

Dieter W. Angrick, Journalistisches Urgestein im Ehrenamt der Redaktion Turmblick

Zwei Jubiläen gehören zusammen: 50 Jahre Großer Dreesch und 75. Ausgabe des „Schweriner Turmblicks“. Ihren Namen hat Schwerins älteste und einzige Stadtteilzeitung vom Wahrzeichen Fernsehturm in Neu Zippendorf. Dass ich seit Ausgabe Nummer zwei und somit seit fast zwanzig Jahren dabei bin, ist meiner Schreibinkontinenz geschuldet, die seit 1955 meine Zugehörigkeit zur Gutenberg-Zunft bestimmt. Bis heute tut es mir keineswegs leid, das Werden und Wachsen des Dreeschs miterlebt und widergespiegelt zu haben. Weiter so!

Jürgen Wörenkämper, Sozialmanager bei der SWG eG

Ich empfinde die Menschen hier in den Stadtteilen Neu Zippendorf und Mueßer Holz als sehr aufgeschlossen und neugierig. Hier kennt man sich und spricht miteinander. Mein großer Wunsch für die Zukunft ist, dass die Bewohner noch mehr in die Veränderungsprozesse einbezogen werden und nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Nur so erreichen wir Identifikation und Verantwortung und somit ein besseres Lebensgefühl. Rückblickend ist für mich die Entwicklung der Vereine Hand in Hand und des Bauspielplatzes sehr positiv – beide Vereine sind hier nicht mehr wegzudenken.

Tine Markwardt, Straßenbahnfahrerin Nahverkehr Schwerin

Auf dem Dreesch bin ich aufgewachsen und kenne schöne Ecken in den Stadtteilen. Dadurch ist mir vieles seit etlichen Jahren vertraut. Ich verbinde diese Zeiten mit schönen Erinnerungen und Gedanken. Die Menschen hier sind einfach geradeaus, authentisch und offen – das gefällt mir sehr. Natürlich wünsche ich dem Dreesch insgesamt mehr Ruhe, mehr Sauberkeit, mehr Zusammenhalt und vor allem ein besseres Ansehen im gesamten Stadtgebiet Schwerins. Die meisten Bewohner sind nämlich so wie Du und ich – absolut in Ordnung. Ich liebe die Vielfalt hier!

Thomas Böhm (l.) und Claudia Reimann (r.), Kontaktbeamte Polizei

Gemeinsam mit Polizeihauptkommissar Stephan Dingler sind Thomas Böhm und seine Kollegin Claudia Reimann seit mehr als zehn Jahren als Kontaktbeamte für die Dreescher Stadtteile im Einsatz. Allen dreien sind die strukturellen Besonderheiten in Neubaugebieten bekannt, denn auch sie selbst sind einst im Plattenbaugebiet aufgewachsen. Thomas Böhm lebte in Rostock und seine Kollegen auf dem Schweriner Dreesch. Claudia Reimann wollte schon immer dort arbeiten, wo sie auch aufgewachsen ist. Thomas Böhm ist seit 2012 Kontaktbeamter fürs Mueßer Holz und kennt viele Gesichter. Ihr Revier beschreiben die Polizisten als vielfältig, bunt und bodenständig. Mit Blick auf die Zukunft möchten sie ihre Arbeit hier im Quartier noch viele Jahre aktiv mitgestalten. Dafür gehen sie täglich auf Streife, dafür sind und bleiben sie mit den Bürgern in Kontakt: Im Miteinander statt im Gegeneinander!

Khaled Alhasoud, Besitzer Hegel-Imbiss

Ich bin 2018 von Berlin nach Schwerin gezogen und habe meinen Imbiss in der Hegelstraße eröffnet – hier gab es ja gar nichts. Ich wünsche mir vor allem Harmonie und dass mehr Menschen ins hinterste Mueßer Holz kommen, so dass alles ein bisschen lebendiger wird. Ich freue mich, dass immer mehr Nachbarn zu mir in den Imbiss kommen und unser leckeres Essen probieren. In unserem Stadtteil gibt es so viele Nationalitäten. Wir können voneinander lernen, nicht nur das Kochen. Mir geht es gut, ich habe meine Frau an meiner Seite und bin Vater geworden. Ich bleibe mit meiner Familie gern hier!

Mandy Graupmann, Mitarbeiterin bei der Kindertafel

Seit 2014 arbeite ich bei der Kindertafel. Hier herrscht nicht nur Essensausgabe und kein Tag gleicht dem anderen. Hier bin ich alles: Essensfrau, Erzieherin, Trösterin, Frisör, Hausaufgabenbetreuung. Ich liebe die familiäre Atmosphäre und den Zusammenhalt hier bei uns rund um die Hegelstraße. Ich würde mir mal wieder eine große Feier und mehr zwischenmenschliche Begegnungen wünschen. Wenn ich an das vergangene Jahr zurückdenke, erinnere ich mich gern an die Wasserschlachten mit all den Kindern, die zu uns kommen. Die einfachen Dinge – das sind doch meist die Schönsten!

Robert Wick, Projektleitung LGE Mecklenburg-Vorpommern GmbH

Der Campus am Turm (CAT) ist für mich ein ganz besonderer Ort. Die sanierte Fassade des Volkshochschulteils neben der noch nicht sanierten Fassade des Schultraktes zeigt anschaulich den Wandel und wohin es mit dem Stadtteil geht. Aber es ist ja mehr als Architektur: durch die vielfältigen Bildungs- und Beratungsangebote unter einem Dach kommen hier die unterschiedlichsten Menschen miteinander zusammen. Und das freut mich ganz besonders, denn es ist mein zentrales Anliegen: Allen Schwerinern zu vermitteln, dass Mueßer Holz und Neu Zippendorf bunte Stadtteile sind, die besser sind als ihr Ruf.

Alex Jenczewski, Erzieher im OST63

Ich wünsche den Menschen, dass sie noch mehr aufeinander zugehen und nicht alle für sich alleine leben. Wenn ich die Stadtteile in drei Worten beschreiben müsste, würden mir spontan idyllisch, aufstrebend und Einzigartigkeit einfallen. Besonders gut gefällt mir, dass hier oft alternative Lebensstile wahrzunehmen sind und diese von Nachbarn akzeptiert werden. Das ist eine Sache, die viele andere Gegenden der Stadt von den Menschen hier noch lernen können. Was Kinder- und Jugendarbeit angeht, sind wir auf einem guten Weg – die Jugendhäuser werden gut angenommen und Angebote genutzt.