„Mit dem Stuhl fing 1990 alles an"

Ein Tisch, ein Stuhl und ganz viel Motivation von Axel Mielke

Den ersten Stuhl des Büros gibt es noch heute. Inzwischen hat die AWO Westmecklenburg Schwerin etliche Stühle und 850 Mitarbeiter | Foto: maxpress
Den ersten Stuhl des Büros gibt es noch heute. Inzwischen hat die AWO Westmecklenburg Schwerin etliche Stühle und 850 Mitarbeiter | Foto: maxpress

Noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 eröffnete die spätere AWO Schwerin ihr erstes Büro am Großen Moor. Die Ausstattung war spartanisch: Ein Tisch, ein Stuhl und ganz viel Motivation von Axel Mielke, der bis heute Geschäftsführer ist.

Schwerin • Den ersten Stuhl des Büros gibt es noch heute (Foto rechts). Inzwischen hat die AWO Soziale Dienste gGmbH Westmecklenburg Schwerin etliche Stühle und 850 Mitarbeiter. Damit gehört sie nicht nur zu den größten Arbeitgebern der Region, sondern auch zu einem der umfassendsten Dienstleister sozialer Angebote in der Landeshauptstadt und in Westmecklenburg. In diesem Jahr schaut die AWO auf 35 erfolgreiche Jahre zurück. Seit Anfang an dabei: Geschäftsführer Axel Mielke.

hauspost: Wie war das mit dem ersten Stuhl damals in Schwerin?
Axel Mielke: Eins vorweg: Der Stuhl war im Mai 1990 noch Volkseigentum und wir haben uns nur genommen, was uns gehört (lacht). Nein im Ernst, als die AWO als Verein am 17. Mai 1990 gegründet wurde, bekamen wir einen Raum in der ehemaligen SED-Kreisleitung am Großen Moor und da stand dann dieser Stuhl, den wir bis heute in Ehren halten und der immer wieder als Fotoobjekt herhalten muss.

hauspost: Im Gründungsjahr waren Sie gerade 30 Jahre alt. Haben Sie damals geahnt, dass die AWO mal ein Unternehmen mit so vielen Mitarbeitern wie heute wird?
Axel Mielke: Nein, natürlich nicht. Es gab einen Bundestagsbeschluss, dass die sozialen Träger der Bundesrepublik auch in den neuen Ländern Strukturen aufbauen sollten. Das ganze basierte auf dem Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass den freien Trägern die Möglichkeit gegeben werden muss, soziale Aufgaben des Staates zu übernehmen. Aus heutiger Sicht können wir das meist besser und kostengünstiger. Aber damit wir erstmal starten konnten, haben wir Unterstützung vom AWO Landesverband Schleswig-Holstein bekommen. Von dort kam Torsten Schmitz (nicht mit dem Boxer verwandt) für ein halbes Jahr nach Schwerin, um uns in der Arbeit und der Struktur der AWO und den Möglichkeiten, die daraus erwachsen, zu beraten.

hauspost: Da haben Sie aber zunächst ehrenamtlich für die AWO, die ja ein Verein war, gearbeitet. Wie ging es dann weiter?
Axel Mielke: Ich habe danach eine ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme)-Stelle durch das Arbeitsamt für die AWO-Tätigkeit bekommen und zuerst die Sozialberatung der AWO aufgebaut. Ich hatte ja schon einen pädagogischen Abschluss und habe den Bedarf an Beratung durch die sich rasant ändernden Lebensbedingungen in Folge der Wiedervereinigung gesehen. Es war klar, dass dadurch viele Herausforderungen kommen würden, wobei die Leute im sozialen Bereich Unterstützung benötigen werden.

hauspost: Wie haben Sie weiteres Personal für die steigenden Aufgaben der AWO bekommen?
Axel Mielke: Der Arbeitsbereich der Gemeindeschwestern, die es bis dahin gab, wurde abgewickelt. So etwas gab es in der alten Bundesrepublik nicht. Also haben wir ein knappes Dutzend ehemalige Krankenschwestern eingestellt, die unsere ersten festangestellten Pflegekräfte in der Sozialstation geworden sind.

hauspost: Neben der Sozialstation war 1991 die Eröffnung einer Familienbildungsstätte ein nächster großer Schritt. Woher kam die Idee dazu?
Axel Mielke: Die Idee dazu kam von unseren AWO-Partnern aus Schleswig-Holstein, die uns anfangs beraten haben. Die hatten eine solche Einrichtung. Und da Familienbildung eine Pflichtleistung der Kommune ist, konnten auch wir in Schwerin im März 1991 unsere Familienbildungsstätte mit einem Kinderkleidermarkt, mit reichhaltigen Bildungs-, Beschäftigungs- und Informationsangeboten für Kinder, Eltern und Großeltern aufbauen. Die Einrichtung besteht bis heute und wird ständig, den Bedarfen entsprechend, weiterentwickelt.

hauspost: Dann war es bestimmt ein logischer Schritt, Kindertagesstätten zu übernehmen, oder?
Axel Mielke: Nicht ganz. Es gab Anfang der 1990er-Jahre einen Geburtenknick nach unten. Viele Kitas wurden mangels Bedarf von der Stadt geschlossen und die Erzieherinnen, die dort angestellt waren, entlassen. Diese Situation verschärfte sich noch bis 1993. Wir als AWO, wie andere freie Träger, haben uns dann mehrere städtische Kitas angeschaut, um sie – und häufig auch das Personal – zu übernehmen. Das gelang mit den Kitas „Regenbogen“, „Max und Moritz“, „Die Kleinen Schulzen“ und der Kita „Igelkinder“. Die AWO Schwerin hat damals Verantwortung übernommen, um den Schweriner Eltern weiter Angebote zur Kinderbetreuung zu machen. Drei der damals übernommenen Einrichtungen existieren heute noch erfolgreich.

hauspost: Parallel zum AWO-Alltag haben Sie sich aber ständig weitergebildet. Wie haben Sie das hinbekommen?
Axel Mielke: Auch das war eine Herausforderung. Ich war schon Geschäftsführer der AWO und gern immer vor Ort bei unseren Einrichtungen und den Mitarbeitern. Für die weitere Entwicklung der AWO war es notwendig und für mich selbst ebenfalls wichtig, mich weiter zu qualifizieren. So habe ich als einer der ersten über den AWO-Bundesverband Sozialmanagement am Institut für Sozialpädagogik und Sozialwirtschaft in Frankfurt a.M. studieren können. Das war schon eine harte Nummer, aber ich habe viel gelernt.

hauspost: Was denn zum Beispiel?
Axel Mielke: Neben den großen Themen, wie ein sozialer Träger aufgebaut wird und funktioniert, habe ich Zeitmanagement gelernt. Ich halte mich schon für einen strukturiert arbeitenden Menschen, dennoch habe ich aus dem Studium mitgenommen, immer private Termine neben meinen dienstlichen Terminen in den Kalender einzutragen. Das klingt banal, hilft aber ungemein, nichts zu verpassen. Ich habe damals bereits erfahren, dass auch soziale Träger wie privatwirtschaftliche Unternehmen geführt werden müssen, damit sie im Wettbewerb, den es ja in unserem Bereich gibt, zu bestehen.

hauspost: Nach dem Sozialmanagementstudium ging es noch weiter mit der Fortbildung?
Axel Mielke: Stimmt. Danach habe ich noch Sozialpädagogik studiert und dann berufsbegleitend Diplom-Verwaltungsfachwirt. Das würde heute keiner mehr machen. Das war schon sportlich.

hauspost: Stichwort Sport. Sie haben mal scherzhaft gesagt: Ich bin von Beruf Volleyballer. Wie sind Sie dann in den sozialen Bereich gekommen?
Axel Mielke: Wie das Schicksal so spielt. Ich war Leistungssportler an der Sportschule und habe leidenschaftlich Volleyball gespielt. Durch eine Verletzung konnte ich den Sport nicht mehr so gut ausüben und habe den Beruf des Heimerziehers gelernt. Die pädagogische Ader hatte ich wohl damals schon im Blut.

hauspost: Und Sie haben ein Herz für die Jugend?
Axel Mielke: Ich weiß ja, wie es Jugendlichen geht, wenn sie keinen Ort des Zusammenseins, keinen Treffpunkt zum Musik hören und auch zum Feiern haben. Diese Möglichkeiten waren für junge Leute auf dem Dreesch, wo wir ja unseren Hauptsitz hatten und haben, nicht so gut. Auch für die DDR-Jugendklubs gab es nach der Wende kaum freie Träger, die sich mit pädagogischer Betreuung und Freizeitangeboten um die jungen Leute gekümmert haben. Zuerst haben wir das Projekt „Die Brücke“ gegründet. Ich mag Synonyme und eine Brücke hat etwas Verbindendes. Diese Verbindung wollten wir in dem offenen Treffpunkt in unseren Räumen in der Justus-von-Liebig-Straße herstellen. Das hat eine ganze Zeit gut funktioniert. 2001 haben wir uns um den Club Deja-vu in der Parchimer Straße und um den Buschclub beworben und den Zuschlag für beide Einrichtungen bekommen. Ja und auch der Treffpunkt Deja-vu wurde im vergangenen Jahr umfassend saniert und erstrahlt in neuem Glanz.

hauspost: Die AWO kümmert sich ja, lax gesagt, um Menschen von der „Wiege bis zur Bahre“. Wann haben Sie das erste Seniorenheim übernommen?
Axel Mielke: Das war am 1. August 1994 mit dem Pflegeheim Schelfwerder, das wir im Jahr 2001 neu gebaut und in dem wir – ein wenig verspätet – im Mai das 30-jährige Jubiläum feiern möchten. Der erste Heimleiter war Karl-Heinz Moehrke. Der verbrachte seinen Ruhestand und Lebensabend in der Einrichtung. Seine Witwe lebt inzwischen auch in Schelfwerder. Weitere Seniorenheime haben wir in Klein Welzin, in Kalsow bei Wismar, in Parchim und in Grevesmühlen das ganz moderne Seniorenzentrum, wo es für die Bewohner nur Einzelzimmer gibt.

hauspost: Die beiden Seiten unseres Heftes würden nicht ausreichen, wenn Sie uns alle Meilensteine der 35-jährigen AWO-Geschichte aufzählen würden. Die Entwicklung des Unternehmens wäre sicher nicht so erfolgreich, hätten Sie nicht die richtigen Mitarbeiter an Ihrer Seite gehabt, oder?
Axel Mielke: Ganz genau. Wertschätzende Kommunikation ist dabei ein entscheidender Punkt, denn wo wichtige und wertvolle Arbeit geleistet wird, müssen auch die Mitarbeiter „gepflegt“ werden. Dazu gehört neben der angemessenen Vergütung auch die ständige Aus- und Weiterbildung. Das sind Investitionen in die Zukunft, die sich lohnen. Zu unserer Unternehmenskultur gehört auch, dass wir an unsere ehemaligen Mitarbeiter denken und einmal im Jahr Treffen organisieren. Da hat sich eine tolle Kultur entwickelt.

hauspost: Welche Ziele hat die AWO Schwerin die nächsten Jahre vor Augen?
Axel Mielke: Ich sage immer: Das Leben zeigt, wo neue Bedarfe für unsere Arbeit sind. Wir tragen immer noch die Idee des Adipositas-Zentrums im Kopf und könnten uns auch ein Heim für junge Unfallopfer mit eigenen Therapeuten vorstellen.

hauspost: Danke und Ihnen alles Gute!

Foto: maxpress
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35 Jahre AWO in der Landeshauptstadt Schwerin

Geschäftsführer
Axel Mielke

Von der ABM-Stelle zur Führungskraft von 850 Beschäftigten

„Ich bin Volleyballer von Beruf“, war der Traum des jungen Leistungssportlers Axel Mielke, der durch eine Verletzung zerstört wurde. Also lernte er einen Metallberuf, um festzustellen, dass er aus einem anderen Holz geschnitzt ist und soziales Blut in seinen Adern fließt. Die Ausbildung zum Heimerzieher in der DDR war die Grundlage und die Deutsche Einheit bot die Möglichkeit, sich in diesem Bereich weiterzuentwickeln und einen sozialen Träger aufzubauen. 1990 startete Mielke als ABM-Kraft und mit einer Hand voll Ehrenamtlern und gründete die AWO Schwerin. Über die Jahre bildete sich Axel Mielke weiter, studierte berufsbegleitend Sozialmanagement, Sozialpädagogik und ist Diplom-Verwaltungsfachwirt. Seit 35 Jahren ist er nun Geschäftsführer der AWO-Soziale Dienste gGmbH-Westmecklenburg. sho

Stationen der AWO Schwerin

• 17. Mai 1990
Gründung der AWO SN

• 16. März 1991
Eröffnung Familienbildungsstätte

• 1. Januar 1993
Übernahme der Kitas „Regenbogen“, „Max und Moritz“ „Igelkinder“

• 1. Januar 1996
Übernahme des Schullandheims Mueß

• 23. Juli 2001
Übergabe Neubau Seniorenhaus „Schelfwerder“

• 1. Januar 2005
Übernahme des Kinder- und Jugendnotdienstes der Stadt

• 12. November 2009
Einweihung des neuen Sportinternates

• 21. Januar 2020
Eröffnung des „Haus der Beratung“

• 10. September 2021
Eröffnung des „Eltern-Kind-Zentrums